Donnerstag, 28. Oktober 2010

ViaE´s unheile Welt

Wann immer ich auch nach Hause kam, sass sie auf dem Sofa, meist mit einem ungelesenen Buch in der Hand. Der Begrüssungskuss schmeckte salzig, sie hatte wieder geweint. Egal, ob´s 2, 4 oder gar 6 Uhr war, sie hatte gewartet. Meist war ich sehr müde, der Job war hart und forderte alles von mir, nur selten hielt sich die Euphorie, die ein guter Gig gibt, über den Abbau hinaus. Eine Dusche, ein paar Stunden schlafen, vielleicht vorher noch ein paar nette Worte wechseln - mehr wollte ich gar nicht.
Hatte sie sich erstmal nach meinem Befinden oder dem Konzert erkundigt, gab´s nur selten ein Halten. Es sprudelte aus ihr heraus, sie musste drüber reden, es frass sie sonst auf.
Ich hörte vom kleinen Boris, der wohl nur noch ein paar Monate zu leben hatte, von Anna, die gute Fortschritte machte und von Andy, dessen Kampf vergeblich war. Der Krebs hatte gesiegt.
Mittendrin sie, 8, oft auch 10 Stunden lang, inmitten lauter Kinder, deren Diagnose oft einem Todesurteil gleichkam. Viel zu viel für einen Menschen, der helfen möchte, jemanden, dessen Beruf für ihn Berufung ist und der doch zu scheitern droht an der mangelnden Distanz, an den doch so menschlichen Gefühlen, die es ihm nicht erlauben, die gesuchte Nähe zu verweigern.
"Du kannst das nicht verstehen!" hatte sie nicht bloss einmal zu mir gesagt, denn ich drängte sie, die Kinderkrebsstation zu verlassen, sich versetzen zu lassen oder sich gar ganz zu verändern.
Ich wollte, konnte es aber nicht verstehen, weil ich sah, wie sie kaputt ging. Sie war erst 24, doch die Lebensfreude Gleichaltriger Mädchen vermisste man völlig.


Der Plan war recht simpel: Ein paar Anrufe, mehrere Faxe - leider hatte ich nicht damit gerechnet, dass soziales Engagement bei Stars vom Grad der Publicity, die so eine Aktion bringt, abhängt.
Keine Presse, keine Kameras, das war meine Bedingung, denn ich wollte den Knirpsen eine Freude machen und nicht der Klatschpresse oder den PR-Beratern.
Ums kurz zu machen: Es gelang mir nicht.
Stattdessen schrieb ich ein paar Kindergeschichten, setzte mich mit der Krankenhausleitung in Verbindung und organisierte eine "Lesung".
Schwer bepackt wie der Weihnachtsmann persönlich stiefelte ich also in den grossen Saal, wo alle Stationskinder versammelt waren und auch Jasmin, die nicht schlecht staunte, als sie sah, wer der "Autor" war. Einige der Kinder kamen offen auf mich zu, fragten, was in den Säcken wäre, die ich mitgebracht hatte, andere versteckten sich schutzsuchend hinter den Schwestern, was man ihnen nicht übel nehmen konnte, sah ich doch mit Mehrtagesbart, hüftlanger Mähne, den schwarzen Lederklamotten und meinen Ringen nicht grad wie ein "guter Onkel" aus.
Wie gut, dass ich vorgesorgt und mir diverse Autogrammkarten von damals bei Kiddies angesagten  Sängern und Bands  beschafft hatte. Zum endgültigen Eisbrecher avancierten jedoch die Crew-Shirts.
Jeder zog sich das seines Lieblings über und so sassen sie da und lauschten, machten mit, stellten Fragen, johlten oder buhten und ich glaube, nein, ich bin mir sogar ganz sicher, sie haben für diese 2 Stunden alles vergessen - ihre Schmerzen, ihre Glatzen, vielleicht sogar ihren nahen Tod.


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Nun, ist vielleicht nicht ganz so lustig wie versprochen geworden, aber wer mir solche Ankündigungen glaubt, ist eh selbst schuld^^
Das ist, was mich mit Jasmin verbindet. Haben wir uns später auch getrennt, so ist sie und besonders dieser Tag mir immer im Gedächtnis geblieben. Wir sind seit über 20 Jahren gute Freunde, sie ist dem Metier treu geblieben, hat aber ein Medizin-Studium absolviert und ist heute Kinderärztin.
Tja, und ich schreibe immer noch Geschichten für Kinder, heute wieder für etwas grössere.
Solche "Lesungen" wie oben beschrieben, habe ich mehrmals jährlich, gute 10 Jahre lang, gemacht.
Jede davon ein einzigartiges Erlebnis.
Etwas erleben ist etwas anderes als nur davon zu wissen.

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Und, hast Du "verstanden"?
PS: Deine Musik war ja hoffentlich kein Death Metal ;-)
Petra

Mika hat gesagt…

Death Metal kann auch schön sein. Weihnachten ist KRIIIIEG!!

Hast du schön gemacht, Uncle V. Ich will sowas auch mal machen. *__* 8)
Glaub ich muss endlich mal ein begnadeter Autor und Celebrity werden, dann lad ich mich selbst ein. ^^

btw... krieg ich n Pic von deiner damaligen Erscheinung? Ich bin grad so neugierig, damn!

Verdummt in alle Ewigkeit hat gesagt…

Petra, ich habe keine Musik gemacht, ich war Veranstaltungstechniker...wir haben alles gemacht, von Death Metal bis Volxmucke.
Ja, ich habe verstanden, aber wenn jemand sich dabei selbst kaputt macht, ist niemandem geholfen. Sie war -damals jedenfalls- zu instabil für so ´nen Job und hat die richtigen Konsequenzen gezogen.

Sorry Mika, aber von damals gibt´s keine Pics, jedenfalls hab ich keine, meine Fotophobie, du erinnerst dich?
Um sowas zu machen, braucht man kein begnadeter Autor zu sein, ein paar lustige Mitmach-Geschichten und ein Anruf im KH oder Heim oder sonstwas, dann funzt das.

Yeah! hat gesagt…

mein Held *strahl* :)

@Jasmins Job
hätte ich auch nicht machen können das. Ich lag mal auf der Krebsstation (1Nacht) neben mir ein Mädchen. Die Haare grade mal 4cm nachgewachsen nach der Chemo und schon wieder ein neuer Tumor entdeckt. Diese hilflosigkeit!!! ...kann einen auffressen.