Mittwoch, 3. Oktober 2012

Einheitsbrei

Als es anfing, feste Konturen anzunehmen, war ich grad in Paraguay und wie ich so den Fernseher einschalte, da seh ich doch Leute auf der Berliner Mauer rumturnen, Trabbis, vollbesetzt mit glücksstrahlenden Menschen, denen grösstenteils Wildfremde Bananen und Schokolade verabreichen.
In bedenklichen Dosen, aber  das mal nur so nebenbei.
Ich bat meinen Cousin zu übersetzen, denn irgendwie mochte ich noch nicht so recht daran glauben, grad nicht veräppelt zu werden. Sein Erstaunen war noch sehr viel grösser, war er doch schon 15 Jahre weg aus Deutschland und die Vorgänge dort wurden in paraguayanischen Medien bestenfalls am Rande erwähnt.

Er bestätigte: Die Mauer war offen!
Anruf in Deutschland: Ja, es stimmt, hier ist die Hölle los. Zehntausende, wenn nicht gar noch mehr, reisten ungehindert in den Westen.

Wir stiessen mit einem lamapisseähnlichen Gebräu an und umarmten uns.

Das war am 09. November 1989 und knapp ein Jahr später, an ebenjenem 03. Oktober 1990, vollzog sich die von uns lapidar "Wiedervereinigung" genannte Zusammenführung und bescherte uns einen Feiertagstausch. Und jede Menge Ärger.
Jedem, der schonmal Fliegen mit einem Volkswirtschaftslehre-Buch erschlagen hatte, musste klar sein, wie sehr eine Angleichung der Lebensumstände auf beiden Seiten zu erheblichen Verlusten führen würde.
Hüben wie vormals drüben.
Ganoven aus dem Westen machten sich auf ins neue El Dorado, liessen sich Bier für 65 Pfennig schmecken und zockten nebenbei jeden ab, der nicht bei drei in seiner Platte war, die alten und auch nicht ganz so alten Kader dort sicherten sich Pöstchen und verarschten die Treuhand.
Ein Hauen und Stechen, bis am Ende in West und Ost die Verlierer feststanden.

Statt blühender Landschaften gab´s verwundete Seelen, verlorene Arbeitsplätze und derart bodenlose Fässer zu stopfen, wie sich das wohl  niemand vorher ausgemalt hätte

Heute, genau 22 Jahre später, darf feiern, wem danach zumute ist, wobei mir spontan Chanel tragende Linke in den Sinn kommen, denen die Wende gutbezahlte Abgeordnetensitze eingebracht hat, für die sie nichts weiter tun müssen, als ein bisschen zu lamentieren, Spekulanten, grosse Firmen und ähnliches Geschmeiss, das immer als Erster da ist, wenn`s irgendwo Leichen zu fleddern gibt.
Die Kanzlerin natürlich auch. Gauck. Und noch ein paar mehr von denen, die die Gunst der historischen Stunde nutzen konnten.

Auf der negativen Seite verbuchen wir die hohe Arbeitslosigkeit, der die Agenda 2010 und somit die Hartz-Gesetze folgten, die durch Frankreich und England nunmehr forcierte und völlig übereilte Einführung des Euro mit seinen heute mehr als  zuvor sichtbaren Auswirkungen.
Nicht zu vergessen die Menschen, die da wie dort durchs Raster fielen und das immer noch tun.

Ich denke, es fällt schwer, sich zu freuen, dass man zwar jetzt nach Malle oder Hawaii fliegen könnte, aber leider kein Geld dafür hat und dass die Merzedesse nicht auf Plantagen wachsen, wo sie nur darauf warten, gepflückt zu werden...nunja, diesem Irrglauben sind schon ganz Andere aufgesessen.

Es gibt noch viel zu tun, auch und gerade 22 Jahre danach und ich wünsche mir, dass mein Text zum 30. Jahrestag anders ausfallen möge.

4 Kommentare:

vany mit hütchen hat gesagt…

wie unheimlich: ich habe mich im Jahr 1989 in VWL eingeschrieben.

Ich glaube nicht, dass unsere Generation jemals einen anderslautenden Text schreiben wird. Wir sind es auch nicht mehr, die das irgendwie in Ordnung bringen können.

Schlaf gut.

Frau Vau hat gesagt…

Sehr treffend formuliert!
Ich erinnere mich noch genau an unsere Freude und Euphorie damals - besonders die meiner Stiefmutter, die im Osten Verwandtschaft hatte.... und ihre Angst ein paar Wochen später, die Bagage könnte jetzt ja ungehindert bei ihr einfallen und die Westpakete persönlich abholen..

Verdummt in alle Ewigkeit hat gesagt…

Danke, Vany, habe (ziemlich) gut geschlafen.
Ich möchte ja immer gerne an die Menschen glauben, allerdings versaun die mir das regelmässig.
Die ganze Wiedervereinigung ist halt ziemlich dumm angegangen worden. Hätte mir da einen anderen Weg gewünscht. Ob der besser gewesen wäre, kann man aber auch nicht sagen.

Auf der einen Seite, Frau Vau, hat man sich natürlich für die Menschen gefreut, grad für jene, die dort verfolgt und eingesperrt oder auch überwacht und zensiert wurden, auf der anderen stehen enorme Kosten, um ein marodes Land zu sanieren.
Naja, und dass die Verwandschaft, die nur 1mal im Jahr zu Besuch kommt, die beste ist, braucht keinen weiteren Kommentar, oder?
Zumal, wenn der Arme zum Reichen kommt.

Anonym hat gesagt…
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.